Vor vielen Jahren, als ich in psychischem
Leid (Depression) eines Nachts, ich
ging nur noch nachts aus dem
Haus, aus Angst vor den Menschen, draussen auf einer Waldlichtung zum Himmel
schrie, ging mir die Bibelstelle durch den Sinn, in der Mose Gott nach seinem
Namen fragt, und Gott antwortet: "Ich bin, der ich bin". Ich
realisierte damals im Wald, dass ich nicht einen Namen als blossen Namen, sondern
viel mehr seine wahre Bedeutung anrufen sollte, und so schrie ich dort in der
Stille der Nacht zum Himmel: "Ich bin der ich bin!", immer wieder,
und mit einem Schlag wurde mir plötzlich bewusst, dass der Geist der Wahrheit durch meinen eigenen Mund, in meinen eigenen
Worten rief: "Ich bin der ich bin".
Ich bin der Mensch, der ich bin. Und so
stimmt auch dies: Niemand wird zum Ewigkind als allein durch sein eigenes Sein.
Und im eigentlichen Grunde besteht dieses „Ich bin“ im Entwerden der egozentrierten
Ich-Verblendung, im Aufgeben und Erlöschen des Ich-Wahns, denn nur im Erlöschen
der Selbstsucht besteht das umfassende Wesen des unvergänglichen, todlosen
Ganzen, das die Bibel der Christen ‚Gott‘ nennt, der Palikanon der Buddhisten
‚Nirvana‘, und der Schamane Don Juan Matus das ‚Nagual‘. Erst wenn du dieses
Du, das du ausserhalb deiner selbst wahrnimmst (personal oder phänomenal), als
dein eigenes wahres Wesen erkennst, erst dann vermag es dich zur Freiheit zu
führen und nur so kann es zu dei-nem ‚Erlöser‘ werden.
Der Christus ermahnte seine Nachfolger, dass
sie, sollte jemand nach seinem Ableben behaupten: „Hier ist der Christus, oder
dort“, es nicht glauben sollten, und wenn jemand sagen sollte: „Er ist in der
Wüste“, so, sagte er, „geht nicht hinaus“, und
wenn jemand sagen sollte: „Er ist in den Kammern dort“, so sollten sie
es nicht glauben. Dieselbe Wahrheit predigte er auch in Bezug auf die
menschlichen Vorstellungen vom Reich Gottes. Oft habe ich gehört, dass in
christlichen Gemeinden das Reich Gottes gebaut würde, das ist ein Unsinn, und
Christus sagt dazu: „Gehet nicht hin und laufet ihnen nicht nach“, denn: „man
wird nicht sagen: Siehe hier! oder: Siehe dort ist es! Denn das Reich Gottes
ist inwendig in euch.“
In dir selber, in deinem eigenen Herzen, in
deiner eigenen Existenz ist alles zu finden, was es an Wahrheit, an
Wirklichkeit überhaupt zu finden und zu entdecken gibt.
Im selben Sinn ermahnte der Buddha seine
Nachfolger, sie sollten nicht nach äusseren Autoritäten gehen, nicht nach
heiligen Schriften, nicht nach blossen Vernunftgründen oder nach
intellektuellen Grübeleien, sondern einzig und allein nach der eigenen
Erfahrung, nach dem eigenen, als heilsam oder unheilsam erkannten Wirken und
Erleben.
Auf dem Weg der Wahrheit des konkreten
eigenen Lebens und Erlebens gibt es viel zu Lachen und zu Scherzen. Da ist kein
Raum für trübsinnige, angstbeladene Frömmigkeit, denn das wirkliche Leben ist
ein Feld für forschende Menschen die an einem Versagen oder einem Fehlverhalten
nicht verzagen, die sich selber die Fehler und Irrtümer vergeben und immer
wieder neu aufstehen und weitergehen können, in der inneren Gewissheit, dass
genau dieses Leben und genau dieser eigene Lebensweg der wahre Weg des Lebens
ist. Einen anderen als diesen – deinen – Weg des Lebens gibt es in Wahrheit für
dich nicht.
Die Oberfläche deines Lebens, das ist die
Oberflächlichkeit deines Erlebens. In dieser Oberflächlichkeit nimmst du alle
deine Wahrnehmungen als bare Münze und lässt dich von deinen Vorstellungen
über das Leben in die Irre führen. Das Leben ist dann hart, wenn du ein hartes,
verschlossenes Herz hast. Dann wird das ganze Leben zum Leiden für dich. Das
Leben ist wohl ernst zu nehmen, aber nicht zu ernst, nicht ohne Humor, denn
ohne Humor ist das Leben nicht lebenswert.
Wenn du die tiefe Wahrheit deines Lebensweges
noch nicht erkennst, wenn du noch nicht sehen kannst, inwiefern du selber der
Weg, die Wahrheit und das Leben bist, dann bist du noch hungrig, dann bist du
noch hungrig und durstig nach Wahrheit. Wenn dem so ist, dann rede dir nicht
ein, keinen Hunger und keinen Durst zu haben, denn damit würdest du dich einer
Illusion hingeben, und statt mutig und ausdauernd nach der Wahrheit zu suchen
würdest du dir einreden bereits gefunden zu haben und satt zu sein. Auch das
wäre eine Form von Oberflächlichkeit, und diese Oberflächlichkeit in Bezug zur
Lebenswirklichkeit würde dich niemals sättigen, niemals deinen Durst löschen
können.
All dein Körperliches und all dein Geistiges
ist die Oberfläche des Seins, ist das, was du nicht bist. Wenn du dich damit
identifizierst und in dieser blossen Oberfläche der Existenz das wahre Leben zu
erkennen glaubst, dann wird dir aus dieser Identifikation immer wieder Leid
entstehen, denn dann identifizierst du dich mit etwas Vergänglichem, mit etwas
Leidunterworfenem. Du bist tatsächlich der Weg des wahren Lebens, aber weniger
in den vergänglichen Aspekten, als weit mehr im Unvergänglichen, im
Leidlosen, im Todlosen, und dieses ist nur zu finden im Selbstlosen. Die
Oberfläche raubt als das, das du nicht bist, dem Leben jeden Sinn nur solange,
als du sie statt als das, das du nicht bist, als das anschaust, das du bist.
In ‚Die Kunst des Liebens‘ schreibt Erich
Fromm: „Gott kann keinen Namen haben. Ein Name bezeichnet immer ein Ding oder
eine Person, etwas Bestimmtes. Wie kann Gott ei-nen Namen haben, wenn er weder
eine Person noch ein Ding ist?“ Fromm erläutert dann die Entwicklung des
menschlichen Gottesbildes vom Bild des despotischen Stammeshäuptlings über das
eines liebenden Vaters (wie bei Jesus Christus) bis dahin, dass Gott sich aus
einer Vaterfigur in das Symbol seiner Prinzipien verwandle, in ein Symbol für
Gerechtigkeit, Wahrheit und Liebe. „Im Verlauf dieser Entwicklung“, schreibt
Fromm, „hört Gott auf, eine Person zu sein; er wird zum Prinzip der Einheit
hinter der Mannigfaltigkeit der Erscheinungen.“ Diesen Prozess macht das
Gottesbild eines jeden Menschen durch, soweit er die unaufhörliche Verwandlung
und Vertiefung seines Gottesbildes zulassen und geschehen lassen kann.
Der namenlose Eine, die namenlose, in sich
selbst leuchtende Einheit, kann nur im eigenen Herzen empfunden und erlebt
werden, nirgendwo sonst. Im Erleben der Einheit, des Einigseins, des geeinten
Herzens, liegt die Erfahrung des äonischen, also des zeitlosen, ewigen Wesens
der Liebe. Dieses Erleben ewiger, zeitloser Liebe im einigen Herzen lässt dich
von allem falschen Ernst bezüglich des alltäglichen wie auch des religiösen
Lebens genesen und schenkt dir Freiheit für dein Wirken in dieser Welt. Keine
Angst mehr vor Versagen, keine Furcht mehr vor Verurteilung und Verdammung,
weil die Liebe nicht verurteilt und nicht verdammt.
Du selber bist die Antwort, die du lange
suchend erfragtest. Das ist die eigentliche Umkehr, die du erleben kannst, dass
aus der Wahrnehmung der Existenz als einer grossen und nicht zu beantwortenden
Frage die Antwort wird. Der Prozess dahin geht langsam, Schritt für Schritt,
und all dein Suchen und Irren ist darin einbegriffen, aber der Augenblick, in
dem das Sein zur Antwort wird, der geschieht plötzlich, der ist das, was Buddhisten
als ‚Erleuchtung‘ und ‚Erwachen‘ bezeichnen, Christen als ‚Taufe im Heiligen
Geist‘ und Schamanen als das ‚Niedersteigen des Geistes‘.
Du erkennst die Antwort auf all dein Suchen
und Fragen in deiner eigenen Existenz, in deinem eigenen Erleben, und du
erkennst dein Leben als ‚So-Sein‘ und dich als ‚So-Gegangen‘. Du weisst kaum,
wie es geschehen konnte, dass, scheinbar urplötzlich, anstelle der existenziellen
Frage nun die existenzielle Antwort da ist. Und wenn du versuchst, diese von
dir hier und jetzt direkt erlebte Antwort, anderen mitzuteilen, dann bemerkst
du eine schier unüberwindliche Schwierigkeit und du erfährst, dass die Antwort
eben nicht in den Worten liegt, sondern einzig und allein im tatsächlichen
Erleben.
Alle Dualität von Ich und Du, von Selbst und
Anderem, von Mensch und Gott bleiben bestehen auf der Ebene der Sprache. Auf
der Ebene des geeinten Herzens jedoch beschreiben sie alle einfach von
verschiedenen Gesichtspunkten aus das Einigsein von Mensch und Mensch und von
Mensch und Gott. Das Einigsein bedingt nicht einer Meinung zu sein. Meinungen
sind eine Frage des Verstandes, des Intellekts. Die Einigung des Herzens wird
davon nicht berührt. Verschiedener Meinung zu sein, verschiedene Ansichten zu
vertreten, auch verschiedene Ideologien und religiöse Überzeugungen, das
führt ein in sich geeintes, in sich einiges Herz nicht in Streit und Krieg.
Vielmehr lässt es die verschiedenen Ansichten als Ansichten stehen. Es weiss,
es hat es erfahren, dass die Wahrheit nicht in Ansichten zu finden ist.
„Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich der Wahrheit Zeugnis gebe. Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.“ (Christus)
„Eins ist die Wahrheit, nicht gibt’s eine zweite, sie kennend wird der Mensch hierbei nicht streiten.“ (Buddha)
„Der Geist manifestiert sich einem Krieger
an jeder Wegbiegung. Dies ist jedoch nicht die ganze Wahrheit. Die ganze
Wahrheit ist, dass sich der Geist jedermann mit gleicher Intensität und
Konsequenz offenbart, aber nur Krieger sind konsequent auf solche Offenbarungen
eingestellt.“ (Nagual)
Amen!
Sadhu,
Sadhu, Sadhu!
So
ist es!
Ming I - Die Verfinsterung des Lichts
(I Ging)
oben Kun, das Empfangende, die Erde
unten Li, das Haftende, das Feuer

Die Sonne ist hier unter die Erde gesunken, daher verdunkelt. Der Name des Zeichens bedeutet eigentlich Verwundung des Hellen, daher die einzelnen Linien auch vielfach von Verwundung reden.
Man darf sich auch von ungünstigen Verhältnissen nicht wehrlos mitreissen, nicht in seiner inneren Willenshaltung beugen lassen. Dies ist möglich, wenn man innerlich licht ist und nach aussen hin nachgiebig und fügsam. Durch diese Haltung lässt sich auch die grösste Not überwinden. Man muss freilich unter Umständen sein Licht verbergen, um trotz Schwierigkeiten in der unmittelbaren Umgebung seinen Willen durchhalten zu können. Die Beharrlichkeit muss im innersten Bewusstsein leben und darf nach aussen nicht hervortreten. Nur so kann man unter Schwierigkeiten seinen Willen wahren.
In Zeiten der Finsternis gilt es vorsichtig und zurückhaltend zu sein. Nicht durch rücksichtsloses Auftreten soll man sich nutzlos übermächtige Feindschaft zuziehen. Man soll in solchen Zeiten die Gewohnheiten der Menschen zwar nicht mitmachen, aber sie auch nicht kritisch ans Licht ziehen. Im Verkehr muss man in solchen Zeiten nicht alles wissen wollen. Man muss manches auf sich beruhen lassen, ohne sich darum betören zu lassen.
(Richard Wilhelm)


